Fußballmeister im Tennisolymp

Fußballmeister im Tennisolymp

Leipzigs Fußball brachte in seiner 125-jährigen Geschichte eine Vielzahl außergewöhnlicher Persönlichkeiten hervor. Darunter zwei Enkel des legendären Industriepioniers und Stadtentwicklers Karl Heine. Sie wurden mit den Fußballern des VfB Leipzig Deutscher Meister – und etablierten sich anschließend im Tennis in höchsten Gefilden.

Der angesehene Leipziger Großkaufmann und Industrielle Heinrich Georg Schomburgk (1843-1928), Spross einer traditionsreichen Dynastie und verheiratet mit Karl Heines Tochter Doris Eugenie (1847-1931), wird wenig begeistert gewesen sein über die „Fußlümmelei“ seiner beiden jüngsten Söhne.

Wilhelm (1.3.1882-18.12.1959) und Heinrich Schomburgk (30.6.1885-29.3.1965) gehörten zu den Talenten, die der „Ur-Rangnick“ Theodor Schöffler kontinuierlich über Jahre geformt hatte, um aus diesem Fundus eine spielstarke Erste Mannschaft zu entwickeln, die um den Gewinn der Deutschen Meisterschaft mitspielen konnte.

Die Schomburgk-Brüder erfüllten die hohen Ansprüche und Erwartungen von „Ralf Rangnicks Ahnherrn“ und schafften es in den Kader des ersten deutschen Fußballmeisters. In der Saison 1905/ 06 rückten sie verstärkt in den Fokus und kamen zu Einsätzen im damals führenden deutschen Club.

Während Wilhelm im Mittelfeld als Sechser – wie man heute sagen würde – agierte und in der Endrunde im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft beim 3:2 (3:2)-Erfolg gegen den Berliner FC Hertha 92, einen Vorgängerverein von Hertha BSC, zum Einsatz kam, hatte es sein jüngerer Bruder Heinrich als Linksaußen schwer, die Nationalstürmer Heinrich Riso und Adalbert Friedrich oder Torschützenkönig Edgar Blüher zu verdrängen.

So blieb Heinrich Schomburgk in der Endrunde ohne Einsatz, durfte sich nach dem 2:1 (1:1)-Sieg im Finale gegen den 1.FC Pforzheim als Teil der erfolgreichen Mannschaft aber als Deutscher Meister fühlen und benennen.

Wilhelm Schomburgk musste seine Spielerlaufbahn später wegen einer schweren Verletzung beenden – und der Erste Weltkrieg stoppte dann endgültig so manche hoffnungsvolle Karriere und Entwicklung. Edgar Blüher etwa wurde so schwer verwundet, dass er 1918 seinen Verletzungen erlag.

Sportliche Vielfalt und Klasse

Die Schomburgk-Brüder spielten nicht nur Fußball, sondern waren insgesamt überaus aktiv im Sport. Am 30. April 1901 gehörten sie im Restaurant „Kitzing und Helbig“ in der Petersstraße 26 zu den maßgeblichen Gründungsmitgliedern des Leipziger Sport-Club (LSC).

Der emotional berührendste Spross dieses Vereins ist der Weitspringer Luz Long (27.4.1913-14.7.1943), ein Nachfahre des Chemikers Justus von Liebig und Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936. Dort sorgte seine freundschaftliche Begegnung mit Jesse Owens, der Gold über 100 m, 200 m, 4 x 100 m und im Weitsprung gewann, für weltweites Aufsehen. Owens sagte später, dass diese Begegnung und die dabei erfahrenen Gesten für ihn mehr Wert hätten als seine vier Goldmedaillen. Luz Long fiel 1943 bei der Landung des US-Truppen auf Sizilien.

Kernsportarten des LSC waren zunächst aber nicht die Leichtathletik, sondern vor allem Tennis und Hockey. Gründungsanlass des Leipziger SC war zugleich die Etablierung von Eishockey in Leipzig. Vor allem Wilhelm Schomburgk unterstützte dabei maßgeblich eine Initiative seines zehn Jahre älteren Bruders Arthur.

Gespielt wurde Eishockey unter anderem an der Hauptallee im heutigen Clara-Zetkin-Park. Dank des LSC stieg Leipzig vor dem Ersten Weltkrieg zu einer Hochburg des deutschen Eishockeys auf und besiegte 1911 sogar den Deutschen Rekordmeister Berliner Schlittschuhclub, der zwischen 1912 und 1937 das Maß aller Dinge darstellte.

Die LSC-Sportanlage an der Pistorisstraße ließ zugleich eine der führenden deutschen Hockey-Vereinsmannschaften der 1920er Jahre reifen und ebenso erlebte die Tennisanlage an gleicher Stätte zahlreiche große Spiele.

Olympisches Gold im Tennis

Heinrich Schomburgk widmete sich dem Hockey mit Hingabe und prägte dabei nicht nur den LSC stark, sondern war lange auch Mitglied im Bundesausschuss des Deutschen Hockey-Bundes (DHB).

Sein herausragendes Steckenpferd wurde zugleich der Tennissport. Gleich nach der Gründung des Leipziger Sport-Clubs 1901 gewann Heinrich Schomburgk als 16-Jähriger die Clubmeisterschaft, stieg zum führenden Spieler des Vereins auf, wurde mehrfach Deutscher Meister und gewann als Höhepunkt seines Schaffens die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Stockholm 1912.

Dort erreichte er im Mixed das Finale auf Rasen und gewann mit der 1880 in Chemnitz geborenen Dresdnerin Dora Köring gegen die schwedischen Asse Sigrid Fick und Gunnar Setterwall in zwei Sätzen mit 6:4 und 6:0.

Im Jahr darauf wurde Heinrich Schomburgk im Mixed Deutscher Meister. Wieder an der Seite von Dora Köring, die später als Tennislehrerin arbeitete und am 13. Februar 1945 beim verheerenden Luftangriff auf Dresden ums Leben kam.

Heinrich Schomburgks Ehefrau Toni (24.2.1898-22.6.1980) spielte ebenfalls hochklassig Tennis. Beide traten dabei auch gemeinsam an – und wurden 1922 im Mixed sogar Deutscher Meister.

LWB-Aufsichtsratschef und DTB-Präsident

Wilhelm Schomburgk war als aktiver Sportler nicht ganz so erfolgreich wie sein jüngerer Bruder Heinrich. Der promovierte Jurist wurde Teilhaber der am Thomaskirchhof 20 gelegenen Privatbank Meyer & Co., der Hausbank des Gewandhaus-Orchesters.

Er kontrollierte zudem als Aufsichtsratsvorsitzender die von seinem Großvater Karl Heine (10.1.1819-25.8.1888) kurz vor dessen Tod 1888 gegründete Leipziger Westend-Baugesellschaft AG (LWB) und gehörte als Mitglied und Vorsitzender weiteren Aufsichtsräten großer Leipziger Unternehmen an.

Während Bruder Heinrich auf dem Sportplatz glänzte und jubilierte, tat Wilhelm Schomburgk das als Sportfunktionär. Er zählte zu den Pionieren des Hockey-Sports in Deutschland und wirkte ab 1910 im Bundesausschuss des Deutschen Hockey-Bundes mit.

Bereits zuvor im Jahre 1902 gehörte Wilhelm Schomburgk zu den Mitbegründern des Deutschen Tennis Bundes (DTB) und arbeitete dort über Jahrzehnte in Führungsgremien mit. Von 1934 bis 1937 war er dann sogar Präsident des DTB.

Mit Carl Friedrich Goerdeler gegen die Nazis

Wilhelm Schomburgk stand von 1920 bis 1937 zudem dem Leipziger Sport-Club als Präsident vor. Dann aber zog er sich aus politischen Gründen von allen Sportämtern zurück und geriet an der Seite des vormaligen Leipziger Oberbürgermeisters Carl Friedrich Goerdeler (31.7.1884-2.2.1945) zunehmend in Opposition zum NS-Regime.

Als ein Beweggrund hierfür gilt die loyale Haltung gegenüber der jüdischen Familie seiner Ehefrau Elisabeth, geborene Meyer. Dass er als Mitglied einer konservativ-bürgerlichen Widerstandsgruppe nicht Opfer der Hinrichtungswelle nach dem Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 wurde, verdankt er möglicherweise einem schweren Autounfall, der ihn aus dem Blickfeld der Häscher zog.

Trotz vielfältiger Enteignungen des Familien- und Firmenbesitzes durch die neuen Machthaber: Von 1946 bis zu seinem Tod 1959 führte Wilhelm Schomburgk mit seinem Schwager Max Helmut Meyer das vormalige Bankhaus Meyer & Co. als letzte Privatbank in der DDR weiter.

Nach der Wiedergründung des Deutschen Tennis Bundes wurde Wilhelm Schomburgk 1949 zum Ehrenpräsidenten ernannt. Das Engagement des DTB in Leipzig seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 führt der Tennisbund auf das große Erbe der Schomburgk-Brüder zurück.

50.000 Kinder in der Schomburgk-Villa

Kleine Notiz am Rande: Die im Auftrag vom Vater Heinrich Georg Schomburgk 1899 erbaute „Schomburgk-Villa“ in der Prinz-Eugen-Straße wurde 1936 vom Hamburger Diakonissen-Mutterhaus Bethanien erworben. Im Bethanien-Krankenhaus erblickten bis zur Eingliederung 2004 ins Krankenhaus St. Elisabeth knapp 50.000 Kinder das Licht der Welt. Heute befindet sich dort das ambulante Reha-Zentrum des St. Elisabeth.

Dass die Schomburgks, deren familiäre Wurzeln in Querfurt in Sachsen-Anhalt liegen, eine außergewöhnliche Familie sind, unterstreicht auch ein Cousin von Wilhelm und Heinrich Schomburgk: Der in Hamburg geborene Regisseur und Autor Hans Schomburgk (28.10.1880-27.7.1967) entwickelte sich zu einem führenden Afrikaforscher und zählt zu den Pionieren des deutschen Tierfilms. Er publizierte in beiden Teilen Deutschlands, wobei seine Bücher in der DDR zu Millionen-Bestsellern avancierten.

Holger Gemmer