Ralf Rangnicks Ahnherr

 

Ralf Rangnicks Ahnherr

Er vereint als Trainer, Manager, Entwickler und Strippenzieher viele Qualitäten auf höchstem Niveau: Ralf Rangnick hat mit dem Leipziger Fußball Wundersames bewirkt. Ob er vor über 100 Jahren schon mal hier war? Die Parallelen zur Philosophie des Uraltmeisters VfB Leipzig und dessen maßgeblichen Macher jedenfalls sind vielfältig und erstaunlich.

Die meisten Menschen glauben an Übersinnliches und an ein Jenseits. Sehr viele spekulieren über Seelenwanderung und Wiedergeburt. Falls diese Überzeugungen eine reale Grundlage haben: Dann wirkte Ralf Rangnick an der Wende zum 20. Jahrhundert möglicherweise tatsächlich schon mal in Leipzig – mit einem ähnlichen Mega-Erfolg wie gegenwärtig.

Zumindest scheint Erfolgsgarant Ralf Rangnick beseelt vom Geist jenes Mannes, zu dessen Ehren 2010 in Engelsdorf (!) eine Straße benannt wurde: Theodor Schöffler.

Der wurde am 15. Januar 1877 in Leipzig geboren und zählt zu den herausragenden Gründervätern und maßgeblichen Lichtgestalten des Leipziger Fußballs.

Theodor Schöffler begann als Aktiver in der 1888 begründeten Fußballriege des ATV Leipzig 1845. Weil die altgedienten Turner die „Fußlümmelei“ der jungen Leute jedoch mehr bremsen als fördern, gründet er am 13. Mai 1896 mit mehreren Gleichgesinnten den VfB Leipzig, dessen Vorsitzender er wird.

Als Vereinsmanager, Trainer und Spieler ist Schöffler, der sich 1895 für ein Jurastudium an der Universität Leipzig eingeschrieben hat, extrem ehrgeizig. Er analysiert die Spielanlage englischer Spitzenmannschaften, entwickelt daraus eigene taktische Konzepte und vermittelt sie geduldig an seine Kicker.

Eine hohe Laufbereitschaft ist für Theodor Schöffler, selbst ein exzellenter Langstreckenläufer, die Basis für Erfolg im Fußball. Dazu Kondition und Koordination. Ein ausgeklügeltes Leichtathletik-Programm wird Pflicht für jedes Mitglied im bald so genannten „Schöffler-Club“.

Wie so vieles hierzulande hat auch der Marathon in Leipzig seinen Ursprung: Am 5. September 1897 findet auf der Strecke von Paunsdorf nach Bennewitz und zurück der erste Marathon in Deutschland statt.

Theodor Schöffler geht auch hier mit Begeisterung und Vorbildfunktion an den Start – und gewinnt die Premiere in 3:35:31 Stunden. Zum Vergleich: Spyridon Louis war ein Jahr zuvor in Athen in 2:58:50 Stunden Olympiasieger geworden.

Doch durch eine gute körperliche Verfassung allein gewinnt man keine Fußballspiele. Theodor Schöffler weiß, dass neben Fitness unter anderem auch ballspezifisches Können, Spielintelligenz und taktisches Geschick entscheidende Säulen für den Erfolg sind.

Also formt er ab 1898 in einer Schülermannschaft junge Kicker akribisch in allen erforderlichen Punkten. Zum Beginn der Saison 1902/03 bilden diesen Talente den neuen Stamm einer geduldig und gezielt entwickelten Mannschaft, die im Schnitt gerade 20,5 Jahre zählt.

Schöfflers Leipziger Elf fegt wie ein Orkan über den deutschen Fußball. Die Gaumeisterschaft wird gegen starke Konkurrenz ungeschlagen gewonnen, im Finale um die Mitteldeutsche Meisterschaft am 3. Mai 1903 der ewige Rivale Dresdner SC 4:0 aus dem Stadion geschossen und schließlich auch das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft am 31. Mai 1903 in Altona erreicht.

Der Gegner DFC Prag gestaltet die Partie zunächst ausgeglichen und geht nach 22 Minuten 1:0 in Führung. Leipzig gelingt vor der Pause noch das 1:1 und führt nach rund einer Stunde 3:2. Danach gibt es kein Halten mehr und Prag wird schließlich 7:2 überrannt.

Theodor Schöffler erlebt diesen durch ihn eingeleiteten und entwickelten Triumph nicht mehr mit. Am 19. März 1903 ist er plötzlich verstorben … Seine jungen Kicker um die Torjäger Heinrich Riso und Bruno Stanischewski aber haben seine Philosophie vom Fußball und das, was er ihnen bis ins kleinste Detail vermittelt hat, tief verinnerlicht.

Leipzig dominiert den deutschen Fußball vor dem Ersten Weltkrieg: Der „Schöffler-Club“ erreicht bis 1914 sechsmal das Finale und wird Deutscher Meister 1903, 1906 und 1913.

Ralf Rangnick tritt somit ein großes Erbe an. Mitte 2017 deutet vieles darauf hin, dass er seinem Ahnherrn Theodor Schöffler millimetergenau in der Spur folgt. Weil er von dessen Geist beseelt ist?

Holger Gemmer